Auf der Treppe zum Gemeindehaus steht um 07.50 Uhr ein abgegriffenes Akkordeon. 15 Minuten später quält sich der Schneewalzer durch die dünnen Wände im Gemeindehaus. Ein potentieller Strassenmusikant spielt in der Kanzlei vor.
Ich bedaure Melanie Strübi, unsere Assistentin. Sie muss sich den «Künstler» anhören: Kann man diese Kunstform auf unsere Bürger loslassen, stundenlang in der Bahnhofunterführung, vor dem Laden, unterm Fenster?
In der Regel beherrschen die Probanden mit knapper Not zwei, drei Stücke, hoffend, es reiche für die Bewilligung. Melanie Strübi zuweilen: «Üben! Besser üben! Dann können Sie wieder kommen.»
Schön wäre, wenn der Künstler jeweils gehen und verduften würde. Nachhaltiger als das Konzert ist oft die Duftmarke. Sie bleibt noch eine halbe Stunde im Büro, trotz offenem Fenster und chemischer Keule.
Die «Kunstszene» ist professionell organisiert und agiert streng nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen. Sind die Menschen in Uzwil grosszügig, lädt der Gemeinschafts-Bus immer «neue Künstler» aus. Drum muss Melanie Strübi strenger werden. Zuviel Gutmütigkeit nervt nicht nur: Uzwil hat mehr Qualität verdient!
Strassenmusik ist ein hartes Geschäft. Gehetzte Menschen zum Innehalten bewegen, in einer Zeit, in der schon ein langsamerer Schritt peinlich ist. Dann noch stillstehen, das Portemonnaie öffnen, freiwillig, nicht aus Scham, sondern aus Freude an der gebotenen Musik?
Und Sie haben ausgeharrt, bis hierher gelesen? Ich verbeuge mich, wie der Strassenmusikant. Danke!
PS: Wie sagte Melanie Strübi? «Üben, mehr üben»! Was für die Strassenmusikanten gilt, trifft auch für den Gemeindepräsidenten zu.