Alter Geist

Der Henauer Arthur Fräfel hat eine neue Schnapsbrennerei. Keine gewöhnliche. Eine Hochwertige für Hochprozentiges. Die Kirschen werden im kühlen Keller 3 Wochen gegärt. Der gebrannte Kirsch kommt dann auf den Estrich, dort ist’s wärmer. Der Schnaps altere so schneller und werde reicher im Geschmack.

Eine vergessene Erkenntnis wird wieder modern: Altern macht besser! Warum sich also immer so angestrengt dagegen wehren? Am letzten Samstag war unser Jubilaren-Anlass. Ich traf Menschen mit 90, 95, 100 und mehr Jahren, die sehr wach im Geist sind.

Ein bisschen Geist hält den Geist jung – am besten ist er genug gealtert.

Freiraum

Ein schwarzer Kreis im alten Teerbelag ist der letzte Beweis, dass sie existierte. Niemand, so ergab meine Kurzumfrage, scheint sie zu vermissen. Die Plakatsäule.

Der Platz zwischen Stalder und Migros ist seit zwei Wochen ein bisschen leerer. Das ist natürlich keine Zentrumsgestaltung. Bloss eine Zeiterscheinung.

Werbung will nicht mehr still und leise an einer Litfasssäule ihr Dasein fristen. Sie will laut schreien, mindestens teilweise. Und sie täte das grenzenlos, wäre die Skala nach oben offen, würde niemand sagen: Stopp! Das Baureglement, das wir überarbeiten, wird den Rahmen bald enger stecken. Auf hohe Säulen mit Logo etwa können wir gut verzichten. Gute Werbung wird damit in Uzwil vielleicht ein bisschen anspruchsvoller für die kreativen Köpfe. Aber diese gibt es.

Die übergrossen Plakate unmittelbar bei der Augarten-Kreuzung sind nur plakativ, nicht kreativ. Und sie lenken die Autofahrer ab. Drum gibt’s an solchen Stellen künftig weder Wahlplakate noch LED-Werbe-Wände. Das hilft allen anderen: Erst der Freiraum lässt das Gute wirken.

Energiefluss

Mit der frischen Energie aus dem Wochenende komme ich ins Büro. Rollladen rauf, Fenster auf. Der Tisch ist leer, die Mailbox voll. Darunter sind drei Nachrichten aus der Bürgerschaft. Der Laubbläser auf dem Friedhof sei zu laut, das SBB-GA in Uzwil zu teuer, Recycling bei uns ein Stiefkind.

So hab ich’s gern, direkt. Direkt als Botschaft und direkt am richtigen Ort. Man muss nicht für jedes Problem das «Einflugloch Gemeindepräsident» benützen. Aber man kann. Mehr erstaunt mich, wie wenig auf Texte wie diesen zurückkommt, trotz publizierter Mail-Adresse. Zu lau, zu lasch, zu kompliziert?

Etwas hatten alle drei Mails gemeinsam. Sie endeten mit dem doppelt unterstrichenen Hinweis: Uzwil ist als Energie-Stadt höherem verpflichtet. Das stimmt. Nur ambitiöse Ziele bringen uns vorwärts. Allerdings musste ich auch schon schmunzeln, wofür die Energie-Stadt alles herhalten muss: Energie ist sozusagen alles. Aber wenn uns die blauweissen Schildchen an der Ortseingangstafel ein Feedback verschaffen, das wir sonst nicht bekämen, dann haben sie mindestens diese Aufgabe gut erfüllt.

Zwei Treffer

Wilhelm Tell hat getroffen, damals. Einmal den Apfel, einmal den Gessler. Zwei Treffer in Kürze: Das ist eine hohe Messlatte für alle 1. August-Redner.

Auf dem Plakat des Vereins Pro Henau steht, dass ich dort die Rede halten solle. Dabei ist es doch in Uzwil – oder eben in Henau – so, dass alle Anwesenden eine Rede im Sack haben. Das Los soll entscheidet vor Ort, wer die Rede hält. So war die Idee von Konzeptkünstler H.R. Fricker. So haben es Leute 2010 beschlossen. Urschweizerische Basisdemokratie.

Über dem Henauer Kirchenportal steht der heilige Sebastian. Von drei Pfeilen durchbohrt. Ist Henau ein gefährliches Pflaster? Sebastian überlebte. Man kann also ein Risiko eingehen. Trotzdem: zwei Treffer auf ein leeres Blatt, das ist anspruchsvoll. Ich wünsche Ihnen und mir eine gute Idee und vor allem Los-Glück. Wir sehen uns am 1. August auf dem Henauer Kirchplatz, mit Rede im Sack.

Am richtigen Ort

Für den Briefkasten das Schloss. Für Olympia die Verpackung der Urinprobe. Den Rammbolzen für Walzenstühle und die Schnappverschlüsse für Rohranlagen: Überall ist das «Buecherwäldli», unsere Behinderten-Werkstatt, am Werk. Ich bin beeindruckt: Marcel Hilber kann auch anspruchsvolle Arbeit akquirieren, zu Marktpreisen, mit kurzen Terminen. Überlegte Arbeitsorganisation, moderne Werkzeuge und clevere Hilfsmittel machen’s möglich, dass Menschen mit Handicap starke Leistungen erbringen.

Renato Brunett darf stolz sein auf sein Team und seine moderne Werkstatt. Zuverlässiger als Norbert Oberholzer’s Schützlinge kann man eine hochwertige Taumelniete kaum aufs Staubsauger-Rohr setzen, präziser punktschweissen ist schwer möglich. Auch mit körperlichen Einschränkungen lässt sich nach Anleitung von Thomas Husistein eine CNC-Drehbank in 3 Dimensionen programmieren. Rücken an Rücken können zwei Fussball-Fans Gewinde schneiden – St.Gallen und Basel für einmal friedlich vereint.

«Der richtige Mensch am richtigen Ort». Nirgendwo ist für mich dieser Leitsatz bisher besser sichtbar geworden. Wird er so gelebt, wie Hansjörg Ruckstuhl mit seiner Crew das tun, wird vieles möglich. Chapeau!

Wenn Sie das nächste Mal Ihre Post aus dem Briefkasten holen: Das Schloss ist wahrscheinlich vom Buecherwäldli! Vielleicht wurde die Post auch dort verpackt.

Ach ja: Urs Gerschwiler und Nicolas Junod freuten sich riesig auf die Riga – ich hoffe, Sie treffen sie dort. Am Stand des Buecherwäldli natürlich.

Stolz

Verliebt, in Freundin und Beruf. So gesehen an der riga12: Ein Gärtner-Lehrling im 3. Lehrjahr erklärt seiner Freundin den modernen Gartenbau am Stand der Konkurrenz. Und wie er das gemacht hat. Besser als jeder Verkäufer. Authentisch. Begeistert. Feurig. Sichtbarer Stolz! Sein Berufskollege im 1. Lehrjahr, René Solenthaler, kann’s auch schon und drückt mir einen Prospekt von Frick so überzeugend in die Hand.

Wenig später treffe ich auf Daniel Thaler, «Stift» als Lastwagen-Mechaniker bei Volvo. Er zeigt mir die Ventil-Steuerung des Diesel-Motors. Beim Turbo schaltet er einen Gang hoch, spricht von Turbine, Verdichtung, Gemisch, Einspritzung und Selbstzündung. Die Augen leuchten. Sichtbarer Stolz!

Ähnliches bei Mergim Alimi, er lernt Polymechaniker bei Zubler. Von ihm lerne ich an der riga12: Für komplexe Aufgaben brauchts alle drei – Konstrukteur, Automatiker und eben den Polymech. Er führt mir «seine» Anlage vor. Sie sortiert, kontrolliert und befüllt Pipetten. In unglaublichem Tempo. Sichtbarer Stolz!

Worauf kann man im eigenen Beruf stolz sein? Die jungen Menschen haben mich gelehrt: Erzählen und zeigen, was man kann, macht stolz! Etwas vom Wichtigsten, das die riga12 verkauft hat, ist Berufsstolz! Berufsstolz? Jawohl!

Wo die Musik spielt

Auf der Treppe zum Gemeindehaus steht um 07.50 Uhr ein abgegriffenes Akkordeon. 15 Minuten später quält sich der Schneewalzer durch die dünnen Wände im Gemeindehaus. Ein potentieller Strassenmusikant spielt in der Kanzlei vor.

Ich bedaure Melanie Strübi, unsere Assistentin. Sie muss sich den «Künstler» anhören: Kann man diese Kunstform auf unsere Bürger loslassen, stundenlang in der Bahnhofunterführung, vor dem Laden, unterm Fenster?

In der Regel beherrschen die Probanden mit knapper Not zwei, drei Stücke, hoffend, es reiche für die Bewilligung. Melanie Strübi zuweilen: «Üben! Besser üben! Dann können Sie wieder kommen.»

Schön wäre, wenn der Künstler jeweils gehen und verduften würde. Nachhaltiger als das Konzert ist oft die Duftmarke. Sie bleibt noch eine halbe Stunde im Büro, trotz offenem Fenster und chemischer Keule.

Die «Kunstszene» ist professionell organisiert und agiert streng nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen. Sind die Menschen in Uzwil grosszügig, lädt der Gemeinschafts-Bus immer «neue Künstler» aus. Drum muss Melanie Strübi strenger werden. Zuviel Gutmütigkeit nervt nicht nur: Uzwil hat mehr Qualität verdient!

Strassenmusik ist ein hartes Geschäft. Gehetzte Menschen zum Innehalten bewegen, in einer Zeit, in der schon ein langsamerer Schritt peinlich ist. Dann noch stillstehen, das Portemonnaie öffnen, freiwillig, nicht aus Scham, sondern aus Freude an der gebotenen Musik?

Und Sie haben ausgeharrt, bis hierher gelesen? Ich verbeuge mich, wie der Strassenmusikant. Danke!

PS: Wie sagte Melanie Strübi? «Üben, mehr üben»! Was für die Strassenmusikanten gilt, trifft auch für den Gemeindepräsidenten zu.

Zeugnis

Noten entscheiden, ob ein Zweitklässler beschwingt nach Hause hüpft oder geknickt der Hecke entlang schleicht. Ob die Matura eine Feier Wert ist. Ob der Abschluss auch den Lehrmeister freut.

Wer Noten machen will, muss sich festlegen. Den Versuch wagen, gerecht zu sein. Und muss dabei auch den Mut aufbringen, Menschen ungerecht zu werden – ohne es zu wollen. Hinter jeder Note steckt ein Mensch. Die Note kümmert sich nur um einen kleinen Teil seiner Persönlichkeit. Wer Noten verteilt, kennt ihre Grenzen. Trotz mathematischer Präzision nach dem Komma.

Der Wahlkampf ist eröffnet. Die Kandidaten sind bekannt. Das Wahlergebnis wird für sie auch zur Note. Als Wählerinnen und Wähler haben Sie’s einfacher: Sie müssen sich nicht erklären, keine Fragen beantworten. Ob man als Politiker so etwas schreiben soll? Damit nehme ich mir vielleicht die Möglichkeit, am 23. September auf mildernde Umstände zu verweisen. Hhhmm. Ich hüpfe lieber als ich schleiche.

Parkiert

Eisern steht sie da und bewacht ihre weissen Felder. Und sie ist der erstklassige Beweis, dass Zeit Geld kostet. Sie, die Parkuhr, ist Anschauungsbeispiel für staatliches Raubrittertum und schluckt sogar Ihr Kleingeld. Unter einem Fünfziger geht nichts. Das ginge ja noch, stünde sie nicht stets am entferntesten Ort, also hin und zurück im Tempo des gehetzten Affen. Denn ist das Geld einmal drin, tickt sie unerbittlich.

Die Parkuhr sorgt für Umschlag und Umsatz, auf den Parkplätzen vor den Läden wie auf der Quartierstrasse. Langzeit-Parkieren ärgert. PW-Pendler belasten das System. Kontrolle kostet. Genau deshalb brauchen wir die Parkuhr. Denn der öffentliche Raum wird knapper und er ist nicht gratis, weder im Bau noch im Unterhalt.

Ob Parkuhren wirtschaftsfördernd sind? Jedenfalls sind sie ein praktisches Anwendungsbeispiel von Statistik: Was lohnt sich mehr? Busse oder Gebühr zahlen?

Kein Zeiger zeigt so deutlich: «Ihre Zeit ist abgelaufen.» Ein gefährliches Verdikt, auch für Gemeindepräsidenten. Weil mir das zu riskant ist, lasse ich mir die Gebühr für die Garage hinter dem Gemeindehaus monatlich vom Lohn abziehen.

Patent-Rezept

Sie kennen Miraculix, den Druiden der Gallier? Was macht der? Er mischt. Kleine Dosis, grosse Wirkung. Das ist auch Uzwils Domäne, mahlen und mischen. Zwei aussergewöhnliche Beispiele: Gewürze und Strassenbeläge.

Urbano Danielli empfängt mich schwungvoll. Mit einer Rezeptur steht er vor seiner Mühlehof Gewürze AG in Niederuzwil. 0,0032 kg steht auf dem Blatt. Mehr als 20 verschiedene Gewürze und Zutaten verstecken sich darin. So fein werden Gewürze gemischt. Aus erstklassigen Rohstoffen nur. Grossverteiler wie Kleinstbetriebe: Jeder Metzgerei ihr eigenes Gewürz, für jede Wurst, jeden Fleischkäse, jede Marinade separat. Und immer haargenau gleich. Jahraus, jahrein. Der Kunde merkts.

So ist es auch bei Patrick Okle, dem Anlagechef der Moag in Niederstetten. In 40 m Höhe erklärt er mir die Mischanlage. Strassenasphalt mischen sei wie Kuchenbacken: Man nehme Sand und Kies, allenfalls Recycling-Material und eine Prise Bitumen. 180 Rezepte sind gespeichert. Jede Bestellung wird frisch gemischt. Weit über 150 Tonnen in der Stunde, wenn’s sein muss. Und trotzdem haargenau. 1 kg Bitumen mehr oder weniger auf 1000 kg – das Labor meckert und die Strasse hat vorzeitig Risse. Die Mischung machts, auch in Uzwil. Und so lange wird uns der Himmel nicht auf den Kopf fallen…