Milchmann

Besuch bei der Spitex an der Birkenstrasse. Wie ist der Stand der Dinge? Eine feine Einrichtung ist das, die Spitex, mit ihren flexiblen Mitarbeiterinnen. Der Einsatzplan zeigt: Kein Tag wie der andere. Und trotzdem muss alles geplant sein.

Neue Aufgabenfelder kommen auf die Gesundheitsversorgung zu. Demenz, anspruchsvolle Wundbehandlung, mehrfache Keimresistenz, der «blutige Patient» aus dem Spital. Die Stichworte sind einfacher geschrieben als umgesetzt. Auch die Unterstützung im Alltag, wenn die mentale und die körperliche Kraft fehlt, kann für alle anspruchsvoll sein. Ein Kernbedürfnis hingegen ist konstant: Menschen möchten, dass man sie nicht nur als Kunden behandelt, sondern ihnen als Menschen begegnet.
Ohnehin ändert nicht alles so schnell. Auf die Kommunikationswege der Spitex angesprochen, schmunzelt Helen Bühler: Sie haben zwar den Milchmann abgeschafft, aber nicht den Milchkasten!

Redezeit

Wo ist eigentlich das Grundvertrauen geblieben, dass ein anderer seine Aufgabe zweckmässig ausführt? Offenbar ziehen wir als Gesellschaft ausgeklügelte Kontroll-Mechanismen dem Vertrauen vor? Ein Beispiel: Mitarbeitende im Gesundheitswesen müssen ihre Pflege-Einsätze detailliert doku- mentieren. Von Gesetzes wegen jede Minute aufschreiben, jede Spritze, jeden Handschuh, jedes Wattestäbchen. Dazu brauchts Administration. Software muss entwickelt, Hardware beschafft, Mitarbeitende geschult werden, wiederkehrend. Zu Kontrollzwecken. 

Prozessoptimierung ist nötig, kritisches Hinterfragen auch. Die Zahlen müssen stimmen. Aber daran, dass man mit immer mehr Daten und Zahlen den letzten Rest von Vertrauen aus der Gesellschaft fegt, daran will ich mich nicht gewöhnen. Ein paar Minuten mehr in Redezeit investieren statt in Datenerfassung wäre mir lieber. Nicht nur im Gesundheitswesen.

Medizin

«Du kannst den Gemeindepräsidenten belügen, den Hausarzt besser nicht!», erklärte mir ein deutscher Landarzt augenzwinkernd. Dem Hausarzt bringt man sich, dem Spezialisten das kranke Organ, brachte es Ludwig Hasler im Buch ‚Des Pudels Fell‘ auf den Punkt. Die Hausärzte fühlen den Puls der Gesellschaft. Im kürzlichen Austausch ging es um ethische Fragen wie die Pflege von Sterbenden. Es geht um gesellschaftliche Fragen wie schulärztliche Aufgaben oder Impfungen von schweren Krankheiten wie Masern oder Windpocken. So lange die Impfrate ausreichend hoch sei, bestehe wenig Gefahr für die Gesamtbevölkerung, gehe nur der Einzelne ein Risiko ein – mit Betonung auf «so lange». Diskutiert wurde auch, ob ein Ausbau der Spitex für die Nacht ärztlich notwendig sei. Es ging auch um scheinbar banales: die offiziellen Haus-Nummern fehlten oft. Die Designer-Zahlen erkenne man nicht, wenn man in Eile und im Dunkeln nach der ‚richtigen‘ Hausnummer suche. Der Arzt verliere wertvolle Zeit. Die Zeiten ändern sich. Es gibt Dinge, die früher besser waren. Um das zu schätzen, müssen sie schlechter werden. Ein Fall für die Philosophie, die Medizin oder für den Hausarzt?