Am richtigen Ort

Für den Briefkasten das Schloss. Für Olympia die Verpackung der Urinprobe. Den Rammbolzen für Walzenstühle und die Schnappverschlüsse für Rohranlagen: Überall ist das «Buecherwäldli», unsere Behinderten-Werkstatt, am Werk. Ich bin beeindruckt: Marcel Hilber kann auch anspruchsvolle Arbeit akquirieren, zu Marktpreisen, mit kurzen Terminen. Überlegte Arbeitsorganisation, moderne Werkzeuge und clevere Hilfsmittel machen’s möglich, dass Menschen mit Handicap starke Leistungen erbringen.

Renato Brunett darf stolz sein auf sein Team und seine moderne Werkstatt. Zuverlässiger als Norbert Oberholzer’s Schützlinge kann man eine hochwertige Taumelniete kaum aufs Staubsauger-Rohr setzen, präziser punktschweissen ist schwer möglich. Auch mit körperlichen Einschränkungen lässt sich nach Anleitung von Thomas Husistein eine CNC-Drehbank in 3 Dimensionen programmieren. Rücken an Rücken können zwei Fussball-Fans Gewinde schneiden – St.Gallen und Basel für einmal friedlich vereint.

«Der richtige Mensch am richtigen Ort». Nirgendwo ist für mich dieser Leitsatz bisher besser sichtbar geworden. Wird er so gelebt, wie Hansjörg Ruckstuhl mit seiner Crew das tun, wird vieles möglich. Chapeau!

Wenn Sie das nächste Mal Ihre Post aus dem Briefkasten holen: Das Schloss ist wahrscheinlich vom Buecherwäldli! Vielleicht wurde die Post auch dort verpackt.

Ach ja: Urs Gerschwiler und Nicolas Junod freuten sich riesig auf die Riga – ich hoffe, Sie treffen sie dort. Am Stand des Buecherwäldli natürlich.

Stolz

Verliebt, in Freundin und Beruf. So gesehen an der riga12: Ein Gärtner-Lehrling im 3. Lehrjahr erklärt seiner Freundin den modernen Gartenbau am Stand der Konkurrenz. Und wie er das gemacht hat. Besser als jeder Verkäufer. Authentisch. Begeistert. Feurig. Sichtbarer Stolz! Sein Berufskollege im 1. Lehrjahr, René Solenthaler, kann’s auch schon und drückt mir einen Prospekt von Frick so überzeugend in die Hand.

Wenig später treffe ich auf Daniel Thaler, «Stift» als Lastwagen-Mechaniker bei Volvo. Er zeigt mir die Ventil-Steuerung des Diesel-Motors. Beim Turbo schaltet er einen Gang hoch, spricht von Turbine, Verdichtung, Gemisch, Einspritzung und Selbstzündung. Die Augen leuchten. Sichtbarer Stolz!

Ähnliches bei Mergim Alimi, er lernt Polymechaniker bei Zubler. Von ihm lerne ich an der riga12: Für komplexe Aufgaben brauchts alle drei – Konstrukteur, Automatiker und eben den Polymech. Er führt mir «seine» Anlage vor. Sie sortiert, kontrolliert und befüllt Pipetten. In unglaublichem Tempo. Sichtbarer Stolz!

Worauf kann man im eigenen Beruf stolz sein? Die jungen Menschen haben mich gelehrt: Erzählen und zeigen, was man kann, macht stolz! Etwas vom Wichtigsten, das die riga12 verkauft hat, ist Berufsstolz! Berufsstolz? Jawohl!

Wo die Musik spielt

Auf der Treppe zum Gemeindehaus steht um 07.50 Uhr ein abgegriffenes Akkordeon. 15 Minuten später quält sich der Schneewalzer durch die dünnen Wände im Gemeindehaus. Ein potentieller Strassenmusikant spielt in der Kanzlei vor.

Ich bedaure Melanie Strübi, unsere Assistentin. Sie muss sich den «Künstler» anhören: Kann man diese Kunstform auf unsere Bürger loslassen, stundenlang in der Bahnhofunterführung, vor dem Laden, unterm Fenster?

In der Regel beherrschen die Probanden mit knapper Not zwei, drei Stücke, hoffend, es reiche für die Bewilligung. Melanie Strübi zuweilen: «Üben! Besser üben! Dann können Sie wieder kommen.»

Schön wäre, wenn der Künstler jeweils gehen und verduften würde. Nachhaltiger als das Konzert ist oft die Duftmarke. Sie bleibt noch eine halbe Stunde im Büro, trotz offenem Fenster und chemischer Keule.

Die «Kunstszene» ist professionell organisiert und agiert streng nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen. Sind die Menschen in Uzwil grosszügig, lädt der Gemeinschafts-Bus immer «neue Künstler» aus. Drum muss Melanie Strübi strenger werden. Zuviel Gutmütigkeit nervt nicht nur: Uzwil hat mehr Qualität verdient!

Strassenmusik ist ein hartes Geschäft. Gehetzte Menschen zum Innehalten bewegen, in einer Zeit, in der schon ein langsamerer Schritt peinlich ist. Dann noch stillstehen, das Portemonnaie öffnen, freiwillig, nicht aus Scham, sondern aus Freude an der gebotenen Musik?

Und Sie haben ausgeharrt, bis hierher gelesen? Ich verbeuge mich, wie der Strassenmusikant. Danke!

PS: Wie sagte Melanie Strübi? «Üben, mehr üben»! Was für die Strassenmusikanten gilt, trifft auch für den Gemeindepräsidenten zu.

Zeugnis

Noten entscheiden, ob ein Zweitklässler beschwingt nach Hause hüpft oder geknickt der Hecke entlang schleicht. Ob die Matura eine Feier Wert ist. Ob der Abschluss auch den Lehrmeister freut.

Wer Noten machen will, muss sich festlegen. Den Versuch wagen, gerecht zu sein. Und muss dabei auch den Mut aufbringen, Menschen ungerecht zu werden – ohne es zu wollen. Hinter jeder Note steckt ein Mensch. Die Note kümmert sich nur um einen kleinen Teil seiner Persönlichkeit. Wer Noten verteilt, kennt ihre Grenzen. Trotz mathematischer Präzision nach dem Komma.

Der Wahlkampf ist eröffnet. Die Kandidaten sind bekannt. Das Wahlergebnis wird für sie auch zur Note. Als Wählerinnen und Wähler haben Sie’s einfacher: Sie müssen sich nicht erklären, keine Fragen beantworten. Ob man als Politiker so etwas schreiben soll? Damit nehme ich mir vielleicht die Möglichkeit, am 23. September auf mildernde Umstände zu verweisen. Hhhmm. Ich hüpfe lieber als ich schleiche.

Parkiert

Eisern steht sie da und bewacht ihre weissen Felder. Und sie ist der erstklassige Beweis, dass Zeit Geld kostet. Sie, die Parkuhr, ist Anschauungsbeispiel für staatliches Raubrittertum und schluckt sogar Ihr Kleingeld. Unter einem Fünfziger geht nichts. Das ginge ja noch, stünde sie nicht stets am entferntesten Ort, also hin und zurück im Tempo des gehetzten Affen. Denn ist das Geld einmal drin, tickt sie unerbittlich.

Die Parkuhr sorgt für Umschlag und Umsatz, auf den Parkplätzen vor den Läden wie auf der Quartierstrasse. Langzeit-Parkieren ärgert. PW-Pendler belasten das System. Kontrolle kostet. Genau deshalb brauchen wir die Parkuhr. Denn der öffentliche Raum wird knapper und er ist nicht gratis, weder im Bau noch im Unterhalt.

Ob Parkuhren wirtschaftsfördernd sind? Jedenfalls sind sie ein praktisches Anwendungsbeispiel von Statistik: Was lohnt sich mehr? Busse oder Gebühr zahlen?

Kein Zeiger zeigt so deutlich: «Ihre Zeit ist abgelaufen.» Ein gefährliches Verdikt, auch für Gemeindepräsidenten. Weil mir das zu riskant ist, lasse ich mir die Gebühr für die Garage hinter dem Gemeindehaus monatlich vom Lohn abziehen.

Patent-Rezept

Sie kennen Miraculix, den Druiden der Gallier? Was macht der? Er mischt. Kleine Dosis, grosse Wirkung. Das ist auch Uzwils Domäne, mahlen und mischen. Zwei aussergewöhnliche Beispiele: Gewürze und Strassenbeläge.

Urbano Danielli empfängt mich schwungvoll. Mit einer Rezeptur steht er vor seiner Mühlehof Gewürze AG in Niederuzwil. 0,0032 kg steht auf dem Blatt. Mehr als 20 verschiedene Gewürze und Zutaten verstecken sich darin. So fein werden Gewürze gemischt. Aus erstklassigen Rohstoffen nur. Grossverteiler wie Kleinstbetriebe: Jeder Metzgerei ihr eigenes Gewürz, für jede Wurst, jeden Fleischkäse, jede Marinade separat. Und immer haargenau gleich. Jahraus, jahrein. Der Kunde merkts.

So ist es auch bei Patrick Okle, dem Anlagechef der Moag in Niederstetten. In 40 m Höhe erklärt er mir die Mischanlage. Strassenasphalt mischen sei wie Kuchenbacken: Man nehme Sand und Kies, allenfalls Recycling-Material und eine Prise Bitumen. 180 Rezepte sind gespeichert. Jede Bestellung wird frisch gemischt. Weit über 150 Tonnen in der Stunde, wenn’s sein muss. Und trotzdem haargenau. 1 kg Bitumen mehr oder weniger auf 1000 kg – das Labor meckert und die Strasse hat vorzeitig Risse. Die Mischung machts, auch in Uzwil. Und so lange wird uns der Himmel nicht auf den Kopf fallen…

Steinig

Oft verbinden sich damit Erinnerungen. Die Daheimgebliebenen sammeln die schönsten Exemplare an der Thur, die Weitgereisten suchen sie am Meer. Steine.

Glücklich, wer Steine mit Ferien verbinden kann. Für viele Menschen sind Steine Arbeit, harte Arbeit. Kilometerweise neue Randsteine versetzen und grosse Plätze pflästern ist ein Chrampf. Weniger Masse, dafür mehr Klasse ist an Kreiseln gefragt, egal ob aus China oder Portugal. Dort muss jeder Stein millimeter genau passen, jeder drum ein Unikat. Steine interessieren. Nicht nur die emotionalen und physikalischen Qualitäten. Auch ihre Herkunft. Auch, wer sie unter welchen Bedingungen abbaut und bearbeitet. Stichwort Kinderarbeit.

Ethik hat einen Preis und einen Wert. Sie braucht Kontrolle und Entwicklung. Und immer wieder die Erinnerung daran.

Kebab aus St. Niklaus

Mit den Händen in den Hosentaschen stehe ich in der grossen Eingangshalle. Männer sitzen unter dem Vordach, diskutieren. Einer steht auf, begrüsst mich, irgendwie erstaunt. Als wir die Schuhe ausziehen und im Treppenhaus des Gebetsraums stehen, gesteht mir Savi Yavuz offen: «Ich habe mir den Bürgermeister anders vorgestellt. Etwas gewichtiger.» Er klopft sich schmunzelnd auf den Bauch.

Gerade auch deshalb: herzlicher hätte der Empfang im islamischen Kulturzentrum Uzwils nicht sein können. Es duftet köstlich, auch für eine ungeübte Nase. An die 15 Frauen kochen und backen für den Bazar, schöne Stimmung. Präsident Kozak führt mich. Räume für die Frauen, Kinderhort, Jugendzimmer, Treffpunkt für die Männer, dann der Gebetsraum. Ein schlichter Raum mit schönem Teppich und klaren Regeln. Handyverbot inklusive.

Mit grosser Offenheit bekomme ich Antworten zum Islam, zu Gleichberechtigung, Ramadan, Schwimmunterricht, Scharia. Ich verstehe ein bisschen mehr.

Und jetzt solle ich mich an den Köstlichkeiten des Bazars bedienen. Der Versuch meiner männlichen Begleiter, einen Teller für mich zu füllen, scheitert kläglich. Gäste verpflegen ist Frauensache. So sitzen wir in wachsender Runde vor einer riesigen Auswahl. Ich versuche mich in sehr süss und sehr scharf. Nebenbei erfahre und erlebe ich, weshalb Türken nicht wandern. Sie brauchen die Luft zum Reden.

Beim Abschied wollen die Frauen mir unbedingt Wegzehrung mitgeben. Ich hätte viel zu wenig gegessen. Und ein Gruppenfoto ist Pflicht. Gemeindepräsident mit 15 Frauen.

Als ich mich draussen verabschiede, muss ich unbedingt noch drei Döner Kebab mitnehmen. Mit allem. Ich gehe mit vollem Bauch und vollem Plastiksack. Drauf steht: Schweizer Käse aus St. Niklaus.

Nachgemacht, aber falsch!

Ein Landwirt haut einen anderen in die Pfanne, jener habe Jauche zur Unzeit ausgetragen. Die Ursache für diese Anzeige liegt weit zurück – wahrscheinlich weiss niemand mehr genau, weshalb die Verhältnisse so angespannt sind, dass man sich gegenseitig verzeigt und «Ping Pong» spielt. Jedenfalls kommt die Anzeige vom Amt für Umweltschutz zur Gemeinde: Macht was, schickt die Polizei vorbei.

Nun, die Anzeige liegt vor. Abstreiten lässt sich die braune Tatsache kaum. Der Andere habe auch «bschüttet». Dieser Hinweis hilft wenig, vor allem dem Anderen nicht. Und so kommt eine Lawine ins Rollen und breitet sich vom kleinen Weiler über die ganzen 16 km2 Gemeindefläche aus.

Gopf, ist das nötig? An dieser Stelle muss nicht erklärt werden, wann man im Winter Jauche austragen darf (www.umwelt.sg.ch / Düngen im Winter). Die Regeln sind in den Landwirtschaftskreisen bekannt. Die möglichen Konsequenzen auch.

Formulieren wir’s freundlich: Bitte nicht einfach dann Jauche ausbringen, wenn’s der Nachbar tut, sondern dann, wenn’s erlaubt ist. Es gibt ja Zeitfenster, in denen es erlaubt ist. Das erspart der Gemeinde die Diskussionen mit dem Amt für Umweltschutz und dem Betroffenen den Polizeibesuch einschliesslich nachfolgendem Verfahren – Danke!

Aus dem Fenster

Selten läuft’s genau so, wie ich’s gern hätte. Es dauert länger, es kommt anders. Es gibt überraschende Wendungen, in Sekundenbruchteilen. So wie am 3-Königs-Tag: Ich treffe Berta Dietz in ihrem Zimmer im Obergeschoss des Alters- und Pflegeheims Sattelbogen in Bischofszell, bringe verspätete Geburtstags-Grüsse zum Neunzigsten. Wir manövrieren uns zum Lift, warten dort, sehen zu, wie das Personal den Christbaum-Schmuck fein säuberlich versorgt. In der Cafeteria sitzen wir gemütlich am Fenster beim Kaffee. Berta Dietz beschreibt mit Augen, die strahlen wie die Kerzen, den Moment, als sie als Kind in die gute Stube zum Christbaum durfte. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder.

Zack. Perspektiven-Wechsel. Genau als Berta Dietz ihre schöne Beschreibung beschliesst, fliegt der Christbaum oben aus dem Fenster auf den Sitzplatz vor der Cafeteria, springt noch einmal hoch und bleibt auf der Seite liegen.

Alles hat seine Zeit.

Jetzt kommt die Zeit der Steuerabschlüsse, der Rechnungsergebnisse. Wir verschonen Sie noch, dieses Jahr ganz bewusst etwas länger. Die Regierung wird dem Kantonsrat in der Februar-Session ein Sparprogramm vorschlagen.

Dagegen gibt es nichts einzuwenden, mit der Ausnahme, dass das Sparprogramm auch auf dem Buckel der Gemeinden ausgetragen werden könnte. Dagegen hätte ich etwas. Jede Staatsebene soll ihre Aufgaben, für die sie zuständig ist, selbst finanzieren, auch der Kanton. Vor allem, wenn man weiss, dass der Kanton ein Netto-Vermögen von mehr als einer halben Milliarde hat und alle Gemeinden zusammen über eine Milliarde Schulden. Da schaue ich neidisch in den Thurgau. Dort ist’s genau umgekehrt.

Wenn Gemeinden mit Hurra von ihren Rechnungsergebnisse berichten, fällt’s Regierung und Kantonsrat leichter, bei den Gemeinden zu sparen. Deshalb müssen Sie dieses Jahr etwas länger auf unseren Rechnungsabschluss warten.