Sackgasse

Frühlingsmorgen. Zu Fuss. Von Niederuzwil über das Töbeli den Weg hinter der Uzeschule hinauf, den Kirchturm vor Augen. Vor dem inneren Auge habe ich eine alte Fotografie. Dieser Fussweg war mal stimmig gesäumt mit einer Baumreihe, ein Boulevard.

Fussgänger. Weil langsam nahe an der Umwelt und effizenz-bedacht. Sie wollen den kürzesten Weg. Der ist nicht gottgegeben. Man muss ihn wollen. Sonst landet man in einer Sackgasse. Und was ist ärgerlicher als zurück müssen? Drum muss es aus jeder Strasse einen Weg geben.

Oben an der Kirchstrasse, weiter zur Sek. Auf dem kürzesten Weg durch den Park zum Gemeindehaus, also am evangelischen Pfarrhaus vorbei statt durchs Schulareal. Schon x-fach gegangen, aber diesmal entdecke ich ein Schild am grossen Baum. Sackgasse? «Kein D» ist noch zu lesen. Den Rest des Schilds hat der Baum einverleibt, mit seiner Rinde überschrieben. Ein natürlicher Protest gegen Sackgassen. Auch Bäume machen den Weg frei.

Nichts tun

Man kommt nach Hause, schliesst die Türe auf, macht Licht. Nach dem hausfüllenden «Hallo» stellt man fest: Niemand da. Und dann? Radio oder TV einschalten, Musik hören, lesen, kommunizieren, drahtlos, endlos. Vielleicht einfach Betrieb machen, die Ruhe übertönen, vielleicht auch nichts tun.

Der Frühling öffnet die Tür zum öffentlichen Raum. Menschen treffen sich draussen, in Restaurants, unter Vordächern, in Parks, bei Sportanlässen, Musikveranstaltungen, auf der Strasse. Das gibt Reibung im öffentlichen Raum. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, rechtfertigen die Existenz der Gemeinde. Wenn es hier mit nichts tun geht, um so besser!

Verkalkt

«Macht nichts», sagen die Technischen Betriebe Uzwil. Auch die 100-jährigen Wasser-Leitungen seien in bestem Zustand. Der Trinkwasserinspektor bescheinigt dem Uzwiler Wasser beste Qualität. Und doch ärgern sich jeden Tag viele Leute: Kalk scheint das grösste Uzwiler Problem zu sein, so die Einwohnerzufriedenheitsanalyse. «Macht etwas!», sagt der Bürger.

Kalk. Er hält sich hartnäckig in den Ecken der Duschkabine. Der undichte Spülkasten macht WC putzen zur Sisyphus-Arbeit. Weisse Spuren in der Glasvase, am Wasserhahn, in der Pfanne beweisen: Kalk ist allgegenwärtig. Und er bietet familiären Diskussionsstoff.

Der Gegenmassnahmen sind viele. In Internet-Foren wird geraten, dem Kalk mit Zahnpasta und alter Zahnbürste den Garaus zu machen. Andere empfehlen Grossmutter’s Gebissreiniger, verdünnte (!) Essig-, Ameisen- oder Zitronensäure oder einfach kalt abspülen. Es gibt Mittelchen, Steine und Magnete in jeder Preislage – die Grenze zum Hokus Pokus ist fliessend. Entkalken mit einer Salzanlage hat Nebeneffekte und verändert den Geschmack. So trägt man den Kalk als wertvollen Mineralstoff flaschenweise ins Haus. «Macht nichts», sagt der Getränkehändler.

Pflicht & Kür

Schwindlige Pirouetten, ausgefeilte Sprünge, schnelle Schritte, ästhetisch zur Musik choreografiert. Das ist Eiskunstlauf. Die internationale Gemeinschaft der Alpenländer, die Arge Alp, trifft sich heute in der Eishalle zum Wettbewerb, vom Eisclub Uzwil organisiert.

An der Olympiade in Sotschi fiel mir die hohe Risikobereitschaft der Eiskunstläufer auf. Kaum jemand stand die Vierfach-Sprünge fehlerfrei. Besonders sympatisch: Nach einem Sturz war die Athletin, der Athlet blitzschnell wieder auf den Beinen, lächelnd, wie wenn nichts geschehen wäre. Das finde ich vorbildhaft. Ob es das daran liegt, dass man auf Eis schlechter liegt als auf Rasen? Wer an die Spitze will, kann von anderen Sportarten lernen, darf sich nicht auf die eigene Domäne beschränken. Rutschig ist’s auch auf dem politischen Parkett. Aufstehen und Weitermachen, aus der Pflicht eine Kür machen – ich freue mich auf die Lehrstunde in der Uzehalle.

Spektakulär

Als Pendler mit jahrzehntelanger Erfahrung sei er mit meinem Text an dieser Stelle aus mindestens 10 Gründen nicht einverstanden, schreibt mir Herr B. Ich könne ein Graffito und eine Schmiererei nicht unterscheiden, der Text müsse unter Einfluss von starkem Föhn, hohem Fieber oder Lust auf Provokation entstanden sein, lese ich im Mail von Herrn S. Er empfiehlt bessere Recherche und hält mir den Spiegel vor.

Endlich gibts Widerspruch, Reibung mit Stil. Das bringt weiter, spornt an. Die Herausforderung ist nicht, einmal einen guten Text zu schreiben. Sondern immer wieder, verdichtet, reduziert, unter Druck. Mit dem Ziel, dass es der beste werde. Ein Text, der die überraschende Wende schafft. So wie Uzwil’s Finanzen. Nicht immer spektakulär, aber immer wieder für eine Überraschung gut.

Pendeln

Jeder Mensch könne pendeln, erfasse Schwingungen von Lebewesen und Gegenständen. Pendeln sei reine Übungssache. Selbst hartnäckige Kritiker müssten mit der Zeit erkennen, dass am Pendeln was dran sei. Pendeln sei eine uralte Praktik und der Nutzen mit modernen Methoden erforscht.

Pendeln bedeutet auch Verkehrschaos, volle Züge, Steuerabzüge. Im Jahr 2000 brauchten die Menschen in der Schweiz durchschnittlich etwa 23 Minuten für einen Weg zum Arbeitsplatz, heute sind es etwa 32 Minuten. Im Tagesablauf seien die Menschen zur Pendel-Zeit am unzufriedensten, schreibt Professor Mathias Binswanger. Die tägliche Völkerwanderung sei unnötig und eine Form der Selbstkasteiung. Trotzdem halten es viele Menschen für notwendig.

Uzwil hat auf 12 500 Einwohner rund 7 000 Arbeitsplätze, hat also das Potenzial für kurze Weg und zufriedene Menschen. Fakten oder Intuition: Wollen wir pendeln?

Anstand

Sotschi. Alles bereit für Olympia? Nun, es gab schon grössere Baustellen. Der ägyptische Pharao Cheops ist vor 4 500 Jahren mit seiner Pyramide auch fertig geworden. Er beschäftigte auch 300 000 Menschen. Ob sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben? In der Wüste Ägyptens musste immerhin niemand enteignet werden. Wird Sotschi das 8. Weltwunder? Höchstens wenn Simon Ammann nochmals zwei Goldmedaillen gewinnt.

Muss den Sportler interessieren, unter welchen Bedingungen die Sportanlage gebaut wurde? Wissen wir das bei allen Infrastruktur-Anlagen, die wir heute nutzen? Interessiert uns noch, dass die Uzwiler Badi vor 80 Jahren von Hand ausgehoben wurde und kaum ein Lohn gezahlt werden konnte, weil Notstand war? Andere Länder, andere Zeiten, andere Sitten. Ich sehe zuerst das Internationale Olympische Komitee in der Verantwortung, nicht nur bei der Vergabe der Spiele.

Der Bürgermeister von Sotschi ist überzeugt: nach den Spielen kommen die Schweizer zum Skifahren. Und die Russen fahren nicht mehr nach St. Moritz. Vielleicht. Die Schweizer sollen in Sotchi Anstand beweisen. Und zusätzlich 10 Medaillen gewinnen.

Einfach nichts

«Vom Aussterben bedroht», das ist meine Diagnose für Hausärzte. Eine gefährliche Krankheit. Uns gehen die Generalisten aus. Dabei wär’s so wichtig, mehr Überblick zu haben. Hausärzte sind gefordert, müssen sich schnell mit wenigen Angaben diesen Überblick verschaffen: Was ist los? Wie schlimm? Leib oder Seele? Kann ich helfen, brauchts Spezialisten? Fehler nicht erlaubt.

Hausärzte haben eine wichtige Vertrauensstellung, im Notfall und im Alltag. Kurze Wege, kompetente Hilfe, man kennt sich. Das ist effizient, besonders im Zeitalter der internetbasierten Selbstdiagnose. Das Gesamt-System Mensch liegt ihnen am Herzen. Der Beweis war die bisher schmerzhafteste Diagnose meines Hausarztes für mich: «Geh nach Hause, Du hast nichts!»

Existent

Woran merkt der Mensch, dass er tatsächlich existiert? René Decartes befasste sich im 17. Jahrhundert ausführlich mit dieser Frage und kam zum Schluss: «Ich denke, also bin ich.» Er schrieb nicht deutsch, sondern lateinisch. Und wenn man auch nur oberflächlich recherchiert, kommen Zweifel: etwas stimmt nicht. Entweder ist Decartes› Gedanke oder die deutsche Übersetzung von «cogito ergo sum» falsch.

Schade, dass man nicht die Zeit hat, allen Dingen auf den Grund zu gehen. Und den Verstand dazu ohnehin nicht. Auch dann nicht, wenn man im Internet schnell ein paar Fragmente zum Thema gelesen hat. Oft bleibt nichts, als sich auf die eigene Wahrnehmung zu verlassen, auch zu existentiellen Fragen wie zur Abtreibungsinitiative oder zur Masseneinwanderung.

Woher wissen Sie, dass Sie existieren? Ich weiss es, weil meine Tochter schon lacht, bevor ich sie gekitzelt habe.