Nagelbrett

Uzwil fehlt etwas, eine richtige Fasnachts-Zeitung. So ein herzhaft boshaftes Blatt mit phantasievollen Verschwörungstheorien, mit distanzlos-humorigen Kommentaren. Der kaputte Allwetterplatz wäre ein gefundenes Fressen. Welche wunderbare Geschichte könnte man zum Spielplatz am Marktplatz konstruieren. Das Wasserspiel am Bahnhof böte viele Assoziationen. Das neue Gemeindehaus und die Euro-Krise könnte man erstklassig verwerten. Man könnte auch Fraktionen gegeneinander antreten lassen: jene, die mehr Abfallkübel wollen gegen jene, die weniger wollen. Oder die Baum-Fraktionen. Oder die Bushalte-Stellen-Fraktionen. Wenn ich mir vorstelle, was wir uns, Gemeinderat und Gemeindepräsident, selbst alles vorwerfen könnten, zu hohe Steuern und das Lädeli-Sterben.

In Flawil scheint die «Chratzbörschte» vor dem Aus. Und ich hätte gern eine. Vielleicht bin ich leichtsinnig: Wer behauptet nicht, er ertrage guten Humor und dann sticht’s doch? Feine Nadelstiche sind wie Akkupunktur, halten gesund. Auch auf einem Brett mit vielen Nägeln liegt sich’s besser. Eine Fasnachts-Zeitung ist eben Kur und Kür.

Format

Die Regierungen der Ostschweiz befürchten einen medialen Einheitsbrei ohne regionalen Bezug. Sie haben kürzlich beim Verwaltungsrat der NZZ interveniert. Ob’s etwas nützt?

Das Internet hat die Kommunikation verändert und wirkt auf das Familiengefüge, die Geschäftswelt und das Staatsverständnis. Ein paar Thesen dazu: Verheiratet sein ist in 30 Jahren nicht mehr das häufigste Lebensmodell. Das Eigenheim ist kein Lebensziel mehr, man nutzt Wohnraum auf bestimmte Zeit. Geregelte Arbeitszeit gibt es nicht mehr. Grenzen von Staaten lösen sich auf. Wichtiger wird die direkte Nachbarschaft. Politische Parteien werden ersetzt durch zahlreichere Gruppierungen, die auf ein bestimmtes Thema fokussiert sind. Man ist nicht im Theaterverein, sondern macht in einem Theater mit, als Projekt. Der fähige Handwerker kann einen “Bonus” verlangen, wenn er meine Toilettenspülung vor Ihrer repariert.

In dieser Zeit des Umbruchs geben wir erstmals das «Uzwiler Blatt» heraus. Auf Papier. Das Format ist grösser als A4, Tabloid. Die Schrift ist grösser als in einer Zeitung, der Zeilenabstand auch. Das Papier ist etwas fester. Das prägt den ersten Eindruck. «Format haben» ist dann aber eine Frage des Inhalts und des Horizonts. Drum finden Sie hier in Kürzest-Form auch, was bei unseren Nachbarn läuft. Unsere Welt ist weiter.

Studli

Sind Sie Fritz Studli schon begegnet, dem pensionierten Redaktor mit Dackel und Stumpen? Er beobachte vom Stammtisch aus das Uzwiler Geschehen. Was er wohl morgen zur letzten Bürgerversammlung schreibt? Ein Risiko geht er nicht ein. Denn Studli gibt es nicht. Er ist fiktiv, eine Kunstfigur, ohne Körper, deshalb ohne Gewicht. Trotzdem kann er auf die Füsse treten. Gelegentlich zu Recht. Etwa, wenn er feststellt, dass der Uzwiler Gemeindepräsident zu oft in die Kamera grinse. Studli rüttelt auf. Er beleuchtet die Investitionen der Gemeinde kritisch, trauert Hockey-Zeiten und Fasnachtsbeizen nach, spricht schlecht übers Zentrum.

Dass Studli mich ärgert, ist politisch notwendig und nicht weiter tragisch. Umgekehrt muss ich ihn auch nicht gut finden. Im Geiste hatte ich schon mal seinen Nachruf verfasst «Wir trauern um Fritz Studli usw.» und bin ob meines Gedankens erschrocken. Ich erinnerte mich an Andrej Kurkow’s Buch ‹Picknick auf dem Eis›. In diesem Buch verdient ein Schriftsteller seinen Lebensunterhalt, indem er Nachrufe schreibt, Nekrologe. Speziell daran: Er schreibt sie auf Vorrat, die beschriebenen Personen leben alle. Noch. Denn kaum hat er den Nachruf der Zeitungsredaktion abgeliefert, schlägt die Mafia zu.

Hoppla, das sind schwarze Gedanken. Allerdings: Studli lebt nicht, existiert gefahrlos. Und ich kann ebenso gefahrlos schreiben, muss den södrigen Stumpenraucher von gestern samt Hund nicht schonen. Er könnte mir ja auch als frisch-dynamisch frecher Zeitgeist auf die Füsse treten. Kontroverse ist das Salz in der Suppe, sagt Studli. Ich bin gespannt, was morgen in der Wiler Zeitung steht.