Lebenserwartung

Rentenreform. National- und Ständerat versuchen, sich zu einigen. Was sie auch tun werden, es wird unpopulär. Rente um mickrige 70 Franken erhöhen? Unpopulär. Rentenalter erhöhen? Unpopulär. Umwandlungssatz senken? Unpopulär. Nichts tun, geht auch nicht. Und nur an Eigenverantwortung appellieren geht auch nicht, weil man mit sich selbst schlecht solidarisch sein kann.

Was also tun? Feinere, kleinere, schnellere Kurskorrekturen! Das ist jetzt schon der x-te Anlauf für eine Rentenreform. Wenn es jedes Mal Jahre dauert, bis sich die Bundesversammlung in so komplexen Themen geeinigt hat, fährt das Schiff zu lange in die falsche Richtung. Der Umweg wird gross, auch für die Menschen, die mit den unverrückbaren Positionen Kurskorrekturen verhindern.

Es wird also ohnehin unpopulär. Auch Kompromisse sind unpopulär. Wer sie vermittelt, muss sich je nach Partei Wischiwaschi oder Abweichler schimpfen lassen, weil er die Unzufriedenheit gleichmässig verteilt. Das ist aber im Sinn der Sache gut zu ertragen: „National- und Ständeräte, das Volk und die Gemeinden brauchen eine Rentenreform! Niemand kennt die Zukunft. Deshab besser mehrere kleine Schritte machen. So hat man den besseren Stand, ist beweglicher, kann die Wirkung besser abschätzen, als mit einem grossen Schritt! Aber dafür müsst Ihr Euch zusammenraufen, heute und morgen.“

Und: weshalb nicht bereits mit 18 in die Pensionskasse einzahlen statt erst mit 25? Das gäbe 7 Jahre Lebenserwartung.

Krux

Erfahrung ist viel Wert. Und manchmal steht sie einem auch im Weg. Etwa, wenn man als Präsident der Heimkommission bei der Erweiterung des Seniorenzentrums Sonnmatt mitwirkt. Sind da die Erfahrungen, die Lebensgeschichte des verstorbenen Vaters oder Besuche bei der Grosstante, relevant? Ja. Man kann die persönlichen Eindrücke, die Menschen, die Farben, die Töne, die Gerüche nicht ablegen, man trägt sie mit sich. Nur sind sie deswegen noch nicht allgemein gültig und nicht sicher brauchbar. Nicht jeder Fall kommt immer wieder vor und muss gelöst sein.

Es ist gar nicht so einfach, die eigenen Erfahrungen auszublenden, zu abstrahieren. Das zeigt auch aktuelle Beispiel einer St.Galler Nationalrätin. Sie sieht Handlungsbedarf bei Entscheiden der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde. Dabei stützt sie sich offenbar auf ihr Familienmodell und ihre Erfahrungen mit vier Generationen unter einem Dach. Das ist Ihr Massstab. Ich habe nichts gegen dieses Bild. Fremde Beispiele lassen einfacher erkennen: Die eigenen Erfahrungen sind zwar «bemerkenswerte Geschichten». Sie auf ein System, ein Bauwerk zu übertragen, das der Lebensraum für Pflegebedürftige und Arbeitsraum für die Mitarbeitenden sein soll, ist eine andere Geschichte, eine anspruchsvolle. Und die will sorgfältig gelöst sein.

Phantom

Wer definiert den öffentlichen Bedarf? François Höpflinger, Soziologie-Professor an der Universität Zürich, schreibt zum Thema altersgerechte Angebote: „Solche werden zwar generell begrüsst, aber häufig nicht auf sich bezogen: Ist eine gute Idee, wenn ich mal älter bin. Ist gut für einsame alte Menschen, glücklicherweise bin ich nicht einsam.“ Ähnliches gilt auch für die Kinderbetreuung. Auch dort zeigt jede Umfrage ein hohes Bedürfnis. Selbst in der jüngsten Umfrage zum Thema Sicherheit schreibt jemand, er habe kein Problem, aber sicher jemand anderer. Wer ist dieser Andere? Ein Phantom? Sich einfühlen können ist subjektiv eine Tugend. Und stösst objektiv an Grenzen. Diese scheint beim Seniorenzentrum und beim Chinderhus Regeboge erreicht. Beide sind voll. Am Montag werden um 19 Uhr im Seniorenzentrum Sonnmatt drei Studien für einen Ausbau öffentlich vorgestellt. Notwendig oder doch nur ein Phantom?