Erfolg

Renata Oprandi stürmt ins Gemeindehaus. Sie ist in Verzug – die Post hätte schon weg sein müssen. Normalerweise ist unsere Pöstlerin pünktlich und zackig unterwegs. Heute habe sie ihren Rundgang unterbrechen müssen. Die Bibliothek sei regelrecht überrannt worden. Grund: Panini-Bilder-Tausch-Aktion. Sie erzählt bildhaft, wie Mütter den Bildli-Schatz ihrer Kinder hüteten, derweil diese auf der Suche nach Messi, Müller und Co. waren. Wie Väter sich durch das Getümmel gekämpft haben. Wie ein Knirps an ihrem Ärmel gezupft habe: „Können Sie mir helfen?“ Wenn das Leuchten der Kinderaugen nur halb so gross war, wie die übermittelte Begeisterung von Renata Oprandi, dann hat sich die Aktion gelohnt. Im Nachhinein könnte man sogar einen pädagogischen Sinn konstruieren: Tauschhandel will geübt sein. Man muss wissen, was viel Wert ist. Es braucht Witz, Charme und Cleverness. Es braucht einen Marktplatz. Und Anreize. Und Spielregeln. Ob Tausch, WM oder Bibliothek: Erfolg lässt sich gut erklären, hinterher.

Nullbock

Woher kommt die nächste Revolution? Vom Open Air wohl nicht. Die Botschaft aus dem Sittertobel: man kann den Güsel liegen lassen. Aufräumen tut ein anderer. Kommt die nächste Revolution vom Fussballplatz? Die Schweizer Nati hat begeistert. Wirkt der sportliche Erfolg nach? Hoffentlich mehr als Frisuren, gezupfte Augenbrauen und tätowierten Unterarme.

Worüber kann man sich heute richtig aufregen? Konfliktmanagement und Integration sind Schulstoff. Die gröbsten Ungerechtigkeiten im Sozialsystem sind beseitigt. Mann und Frau sind gleich, der Klassenkampf ist vorbei. Die Wirtschaft läuft, der Verkehr rollt. Notfalls gibts das Referendum.

Vor 40 Jahren erkämpfte sich die Jugend ihren Raum. Heute sucht die Gemeinde den Standort für das Jugendkulturzentrum. Wie soll es bei dieser gesättigten Ausgangslage Revolutionen geben? Mit Null-Bock. Eine schleichende Revolution, die uns prägen wird. Die Null-Bock-Haltung bringt auf die Palme, ärgert, stresst, lässt verzweifeln. Darauf habe ich Null-Bock. Und das ist Ihnen egal.

Paradies

Sie sei schuld, dass wir nicht im Paradies sind. Die Schlange. Sie habe Adam und Eva überredet, von den verbotenen Früchten zu essen. Wie dumm. Und wie dumm ist, wer eine Kornnatter im Naturschutzgebiet Gill in Henau aussetzt? Die Kornnatter ist nicht giftig, sie erwürgt ihre Beutetiere. Als „Anfängerschlange“ sei sie anspruchslos, einfach im Terrarium zu halten. Die Kornnatter gehört nach Amerika. Bei uns ist sie eine Gefahr fürs Ökosystem. Tiere aussetzen ist nicht nur verboten, sondern unverantwortbar. Weil die Folgen nicht absehbar sind. Wie bei Pflanzen, die jemand aus dem Garten leichtsinnig am Waldrand entsorgt. Die fremden Pflanzen im Zaum zu halten kostet für Uzwil jährlich 15 000 Franken. Bald sind Sommerferien. Wer nicht weiss, wohin mit seinem Tier, fragt eine Fachstelle. Das ist nicht mehr als fair. Ich möchte gern die Illusion nicht so schnell aufgeben, dass wir vielleicht doch im Paradies leben.

Phantom

Wer definiert den öffentlichen Bedarf? François Höpflinger, Soziologie-Professor an der Universität Zürich, schreibt zum Thema altersgerechte Angebote: „Solche werden zwar generell begrüsst, aber häufig nicht auf sich bezogen: Ist eine gute Idee, wenn ich mal älter bin. Ist gut für einsame alte Menschen, glücklicherweise bin ich nicht einsam.“ Ähnliches gilt auch für die Kinderbetreuung. Auch dort zeigt jede Umfrage ein hohes Bedürfnis. Selbst in der jüngsten Umfrage zum Thema Sicherheit schreibt jemand, er habe kein Problem, aber sicher jemand anderer. Wer ist dieser Andere? Ein Phantom? Sich einfühlen können ist subjektiv eine Tugend. Und stösst objektiv an Grenzen. Diese scheint beim Seniorenzentrum und beim Chinderhus Regeboge erreicht. Beide sind voll. Am Montag werden um 19 Uhr im Seniorenzentrum Sonnmatt drei Studien für einen Ausbau öffentlich vorgestellt. Notwendig oder doch nur ein Phantom?

Barfuss

19:15 Uhr. Nach 1,5 km schwimmen in der Badi Hosenbeine hochkrempeln, barfuss in den Feierabend. Komme am Gemeindehaus an der Flawilerstrasse vorbei. Leute stehen im Garten. Was machen die da? Neugierig trampe ich in einen kleinen Anlass. Die Verwaltungsleitung begrüsste gerade Sara Russo, Seraina Hofstetter und Lukas Butz mit ihren Eltern. Die jungen Leute starten im August mit der KV-Lehre bei uns. Und da kommt der Gemeindepräsident barfuss – welch ein erster Eindruck! Wie in den Gesichtern zu lesen war, wirkt barfuss laufen weder besonders kompetent noch autoritär. Und ist drum in den Kleidervorschriften der Gemeinde nicht vorgesehen. Ein 90-jähriger meinte kürzlich in einem Gespräch, dass er viel mehr hätte barfuss laufen sollen. Aufgeschlagene Zehen, Kieswege und frisch gemähte Wiesen, Bergbäche, Schneefelder, Rosschnecken, heisse Teerflächen – all diese Dinge hätten barfuss einen höheren Erinnerungswert. Man weiss, wie der Grund ist, wo man steht, fühlt sich verbunden. Es härtet ab, gibt Hornhaut und die Möglichkeit, peinliche Momente schönzureden.

Radar

Der Radar kreist: «Wird das positiv oder negativ für mich sein?» Menschen haben ein feines Sensorium für alles, was ihren Status verändern könnte. Das macht Angst oder setzt Energie frei, beeinflusst Abstimmungsverhalten, Wohnort, Freundeskreis, Einkaufsverhalten. Alle Einschätzungen bestimmen in der Summe den Status eines Quartiers, eines Dorfs, einer Nation. Redet man gut von «seinem» Ort, erhöht sich der Status, auch der eigene. Dafür müssen Einwohner und Gemeinde allerdings auch gute Gründe schaffen.

In der Felsegg in Henau soll eine neue Überbauung entstehen. Das Projekt wurde sorgfältig entwickelt und vorgestern den Anwohnern vorgestellt. Es wird neue Nachbarn geben. Ist das positiv oder negativ? In meiner Wahrnehmung war die Grundstimmung positiv. Das ungelöste Thema Fussgänger-Übergang über die Felseggstrasse kochte auf. Die Anwohner haben Recht. Ein sicherer Übergang ist nötig, Sicherheit und Status gehen einher. Was der Status «Gemeindepräsident» bewirken kann? Mein Radar sagt, es braucht einen Radar.

Run

Badeferien am Meer. Sonnenaufgang. Man wandelt schlaftrunken zum Strand, legt sein Badetüchli auf einen Liegestuhl. Sich vorsorglich den besten Platz sichern. Dann zurück ins Bett oder ans Buffet. Diese Mode reisse auch in der Uzwiler Badi ein, wie ich gestern erfahren habe. Man schnappe sich um 9 Uhr einen Liegestuhl, erledige dann in aller Ruhe seine Geschäfte. Ein morgendlicher Run trotz doppelter Zahl an Liegestühlen.

Am Montag ist um 20 Uhr Bürgerversammlung im Gemeindesaal. Ab 17 Uhr kann man sich den besten Platz sichern. Einfach den Stimmzettel auf den Stuhl legen. Nur, wo sind die besten Plätze? Vorne ist man nahe am Geschehen. Hinten ist man schneller am Apéro-Buffet. Und weg vom Geschütz gibt alte Krieger. Meer gibt’s zwar nicht. Dafür stellen wir zwei prominente Uzwiler in den Mittelpunkt. Gefragt ist der richtige Riecher. Für den besten Platz. Uzwil fehlt eben nur der freie Blick aufs Mittelmeer.

Gestreift

Ausgeprägte Muster müssen im Kampf ums Überleben einen Vorteil haben. Drum hat das Zebra Streifen. Da sind sich Biologen einig. Ob das Streifen-Muster im Strassenverkehr Anwendung deshalb findet? Fussgänger-Streifen gibt’s seit 1949. Für Biologen offen ist, ob Zebras mit ihren Streifen verwirren oder lästige Insekten fern halten wollen. Mindestens so kontrovers ist die Diskussion im Strassenverkehr. Zu viele Streifen, zu wenige Streifen, am falschen Ort. Die Einen wollen zurück zum alten Regime ohne Vortritt. Die Anderen fragen sich, wie man beim heutigen Verkehr ohne Streifen überhaupt noch über die Strasse kommt.

Die gelben Balken regeln den Vortritt. Sicherheit schaffen sie nur indirekt. In einer Kampagne überprüft der Kanton auf seinen Strassen die Fussgänger-Streifen, hebt einige auf oder passt sie an. Im Eiltempo. So auch an der Gupfenstrasse. Neu endet ein Übergang an der Waldburgstrasse im Nichts. Jetzt muss die Gemeinde nachbessern. Die Lösung? Noch nicht einmal gestreift.

Uurrgghh

Maul auf. Der Zahnarzt sticht emotionslos zu. Die Betäubung müsse gut wirken. Er komme nahe zum Nerv. Kurz darauf surrt und saugt es. Sprühnebel und Scheinwerfer machen einen Regenbogen. Der Zahnarzt fragt, wie’s so gehe. Urgghh. Ohne eine Antwort abzuwarten, verhandelt er mit seiner Assistentin über meinem offenen Mund über ihre Anstellung. Ich schwitze, schlucke. Der neue Vertrag liege auf seinem Bürotisch. Er schleift und poliert. Sie solle den Vertrag zu Hause gut studieren. Ich hätte auf dem Schragen wohl jedes Papier unterschrieben und bin froh, dass er einen guten Job macht.

Wie es sich anfühlt, wenn Sie unseren Geschäftsbericht 2013 nächste Woche lesen? Ob der Gemeinderat auch einen guten Job gemacht hat? Augen auf. Maul auf.

Stillstand

«Acht Regeln für totalen Stillstand». Wer mit diesen Worten im Internet sucht, findet ein Referat von Prof. Dr. Peter Kruse als Video. Eine seiner Regeln heisst «gründlich nach dem Schuldigen suchen». Das absorbiert viel Energie und ist ein Garant für Stillstand.

Ob positiv oder negativ: Kann etwas passieren, ohne dass jemand schuldig ist? Lässt das unsere Gesellschaft zu? Bei tragischen Unfällen kommt es vor, dass sich Verursacher und Betroffene, allenfalls auch Hinterbliebene, gern versöhnen würden. Trotzdem müssen sie sich vor Gericht bekriegen. Weil es sonst keine Versicherungsleistungen gibt. Das führt zu abstrusen Situationen. Man würde gern um Entschuldigung bitten. Und darf nicht. Oder ein Lieferant weiss längst um einen Fehler und hofft, dass er unentdeckt bleibt, bis die Garantiefristen abgelaufen sind. Sich versichern bedeutet nicht nur absichern, sondern auch einen Teil Menschlichkeit abgeben. Es fällt schwer, Wut und Ärger abzulegen. Nach dem Schuldigen suchen ist der logische Reflex. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Stillstand.