Federn

Stellen Sie sich eine verfahrene Situation vor. Alle Parteien verharren auf ihren Positionen. In Verhandlungen ist Stillstand nicht ungewöhnlich. Es gibt viele Theorien, vom Gefangenendilemma bis zur tit-for-tat-Strategie, die man in Verhandlungen anwenden kann. Gut finde ich auch die Harvard-Strategie. Man trennt Personen und Sachen konsequent und versucht den Kuchen zu vergrössern, bevor man ihn teilt.

Wie sich die Verhandlungen auch immer abspielen, man kommt hoffentlich zu fairen Ergebnissen, sei es privat, geschäftlich oder für die Öffentlichkeit.

Was mir dann auffällt ist, dass ein Entgegenkommen der Gegenseite ‚zu Hause‘ gern als eigener Erfolg verkauft wird. Man habe dies oder das erreicht, obwohl einem sowohl Phantasie, Kreativität als auch Einfühlingsvermögen und die Fähigkeit fehlte, einen substantiellen Beitrag zu leisten.

Mit fremden Federn schmücken finde ich hier besonders schwierig. Wenn Ihnen so etwas auffällt, lade ich Sie ein, die Frage zu stellen: „Und was ganz genau war wessen Beitrag?“

Ventil

Nicht immer läuft alles, wie man es gern hätte. Das ist normal. Man lernt im Lauf des Lebens Konflikte bewältigen, Gespräche führen, deeskalieren, konstruktiv sein, Lösungen entwickeln. Die theoretischen Kenntnisse und die praktischen Erfahrungen würden bei den meisten Menschen für mehrere Leben reichen, wollte man sie alle üben und nahtlos in den Alltag integrieren.

Kürzlich erinnerte mich R.B., dass ich vor drei Jahren ‚i dä Verrückti’ eine Sitzung verlassen hätte, vor der Tür 20 Liegestütze gemacht und zurückgekehrt sei. Ich gebs zu, das habe ich gemacht, habs aber vergessen.

Ein Ventil hilft nicht nur beim Vergessen, sondern auch im Alltag. Wenn der Dampfkochtopf pfeift, sind die Kartoffeln in 7 Minuten lind.

Fundament

Dass man nicht auf Sand bauen soll, steht schon in der Bibel. Nur: woher weiss man, wo Sand ist und wo Fels? Es ist der Job von Geologen, den Baugrund zu untersuchen. Sie studieren zu diesem Zweck die Umgebung, Daten und erheben Gelände-Profile mit Bagger oder Bohrgeräten. Eine präzise Wissenschaft ist das nicht. Sie hat das Potenzial für Überraschungen.

Das Thema Baugrund steht stellvertretend für andere, bei denen man nicht weiss, wem man glauben soll. Die eine Expertin beschreibt die Sachlage so, ein anderer ähnlich, aber doch anders. Und jetzt, wer entscheidet?

Schlechter Baugrund erfordert Massnahmen. Der Bahnhof St.Gallen etwa steht im Sumpf, auf Hunderten von Eichenpfählen. Auch in neuen Bauprojekten sind Lösungen nötig, die für Stabilität sorgen. Denn Senkungen führen zu Schäden mit Kostenfolgen, die Schuldfrage steht schnell im Raum. Das will niemand.

Ob Haftung oder Glauben, ein gutes Fundament ist nicht einfach zu haben.

Entäuscht

Die AHV-Vorlage hat in Uzwil rund 53 % der Stimmberechtigten mobilisiert, stolze 4 300 haben ihren Stimmzettel eingeworfen. Allerdings: An den Regierungswahlen haben sich Tausend Personen weniger beteiligt. Und bei den Kantonsratswahlen waren es gerade noch rund 2 818 Stimmberechtiigte, die gewählt haben, kaum mehr als 35 %.

Die Differenz zwischen 53 % (AHV) und 35 % (Kantonsratswahlen) muss zu denken geben. Mehr als 1 400 Personen haben ein Ja oder Nein in die Urne gelegt, aber keine Wahl getroffen. Und das, obwohl sie das Stimmcouvert geöffnet, den Stimmausweis unterschrieben und alles zurückgesandt haben. Am Aufwand fürs briefliche Abstimmen kann es nicht gelegen haben.

Meine Vermutung: 1 010 Kandidaten für 120 Sitze ist einfach zuviel. Wie soll man sich da seriös ins Bild setzen, richtig wählen? Die Parteien überfordern ihre Strukturen für den Wahlkampf und die Wählerschaft. Die Taktik „Stimmen generieren“ enttäuscht.

Chronik

Worüber werden die Menschen in fünfzig, in hundert Jahren lachen? Der Kanton St. Gallen feierte 2003 sein 200-jähriges Bestehen. Ich durfte im Auftrag der Regierung mit einem kleinen Team den offiziellen Festakt auf dem Klosterplatz organisieren – SG2003.

In der Vorbereitung schauten wir die Filmaufnahmen von 1953. Nachkriegspathos, mittelalterliche Gestalten, Umzüge, Herolde zu Pferd, vaterländische Reden. Bei allem Respekt, es war auch zum Schmunzeln. 

SG2003 war vorbei, viel Applaus, gute Presse. Ich hätte gern den Anlass von 2053 konzeptionell durchgedacht: Wie wird sich ein Kanton, eine Organisation in fünfzig Jahren feiern? Virtuell, mit fleischfreier Bratwurst, nur Bild statt Text, geschlechtslos, CO2-neutral, mit Handyalarm statt Kirchenglocken, verschlüsselt oder überhaupt nicht mehr? Solche Fragen waren der Regierung zu mutig, es gab kein Mandat. Heute wäre die Aufgabe schon einfacher, die halbe Zeit fast um.

Wir schreiben jeden Tag an der Uzwiler Chronik. Auf dass im späteren Schmunzeln etwas Respekt sein möge.

Freitag

Der EHC Uzwil schwimmt auf einer Erfolgswelle, hat in den Playoffs den direktesten Weg ins Halbfinal genommen. Schon am Donnerstag Abend, also noch vor dieses Blatt herauskommt, gehts wieder zur Sache. Es wird wieder einmal richtig spannend – hopp Uzwil!

Die Spannung erfasst offenbar auch junge Leute. So sei N. A. der Meinung, dass sein Sohn in der Unterstufe kein Handy brauche. Die Resultate des EHC Uzwil aber darf der Sohnemann jeweils am Sonntag in aller Hergottfrühe abrufen, weil wichtig und dringend.

Ausnahmsweise sei der Zugriff schon am Freitag erlaubt.

Beulen

Der Schifflipark hinter dem Gemeindehaus hatte einst einen tollen Rundlauf, eine Art Karussell mit langen Ketten und Holzgriffen. Man konnte wunderbar fliegen, wenn man nur schnell genug im Kreis rannte, vorzugsweise mit ein paar Gspänli. Dann aber musste der Rundlauf weg, zu gefährlich. Denn: Wer sich zu langsam aus dem Rund entfernte, dem drohte Gefahr von hinten, der nachfolgenden Kette samt Holzgriff. Ja, das gab Beulen und praktische Kenntnisse in Physik, etwa über Schwer- und Fliehkraft, Beschleunigung und das Trägheitprinzip.

Der Rundlauf ist nun durch eine Rutschbahn ersetzt. Sie wissen, eine solche in Form eines grossen Rohrs, aus dem sicher kein Kind rausfällt.

Kürzlich musste ich schmunzeln, ‚sicherheitshalber‘. Zwei Buben kletterten zu zweit aufs Rohr und rutschten stehend in den Socken runter. Ergebnis? Beulen und Hoffnung für die Zukunft unserer Gesellschaft.

Egoismus

Wenn ich in alten Protokollen des Gemeinderats blättere, wird seit Jahrzehnten beklagt, dass der Egoismus stetig zunehme. Freiwillige finden, schwierig. Verantwortung übernehmen, lieber nicht. Helfen, nur ausnahmsweise. Zahlen, schon gar nicht.

Landläufig höre ich, dass der Egoismus immer noch zunehme. Die sozialen Medien förderten die Selbstinszenierung. Die Politik betone Freiheit und Wettbewerb. In der Gesellschaft gebe es immer tiefere Gräben aller Art, vom Geld über den Status bis zu Regionen. Und ja, das lässt sich so sehen.

Es gibt gute Beispiele, die genau aufs Gegenteil hindeuten. Menschen, welche die Nachfolge als Präsident einer Organisation auf Anfang Jahr übernommen haben, sich als Trainerin engagieren, für die grippekranke Nachbarin sorgen.

Mit Bestimmtheit haben Menschen der Erweiterung der Schulanlage Herrenhof zugestimmt, die keine eigenen Kinder dorthin schicken und sich auch vor einem Hochwasser des Hueberbachs keine Sorgen machen müssen.

Zu diskutieren wäre, ob Egoismus überhaupt erst Gemeinschaft möglich macht.

Jedenfalls danke ich namens des Gemeinderats und allen, denen das Schulhaus oder der offene Hueberbach direkt nützt, für das Ja.

Schmerz

Der Arzt fragt mich nach dem Schmerz. Ich solle ihn auf einer Skala zwischen 1 und 10 einordnen. Hhmm. Es ist doch nicht mehr Mode, Noten zu verteilen? Das werde dem Menschen und der Sache nicht gerecht, heissts im Bildungswesen.

Ich halte kurz inne, durchforste meine Erfahrungen. Darüber hinaus gibt es schmerzhafte Ereignisse, die ich nicht kenne wie Nierensteine oder eine Geburt. Was für eine Zahl soll ich angeben? Was ist dieses pulsieren, stechen, surren Wert? Im Hinterkopf habe ich ein Gespräch mit B. K. Es gebe kulturelle Unterschiede in der Schmerzbewertung. Kulturen, die den Schmerz überwinden wollen und andere, die sich ihm ergeben. Weich-Ei sein oder Held spielen?

Ok, ich sage dem Arzt eine Zahl. Das klärt und entspannt. Noten, Zahlen können etwas anderes als wortreiche Beschreibungen. Sie schaffen Klarheit, Verbindlichkeit, sind eindeutig. Eigentlich vergleichbar mit dem Steuerfuss. Der ist auch etwas wie eine Schmerzziffer.

Auftrag

Termin beim Coiffeur. Ich bekomme mit, was auf dem Sessel nebenan diskutiert wird und staune über die Bestellerqualitäten unserer Jugend: Im Nacken die Haare von null auf drei Millimeter schneiden, hier die Kante, das Deckhaar ab hier 15 mm und dort ein Übergang, inkl. Augenbrauen zupfen usw. – ungefähr so hats etwa getönt. Die Instruktionen dauerten gut und gern 2 Minuten.

Ich bin bass erstaunt, wie genau der junge Mann weiss, wie seine Frisur künftig aussehen soll. Dafür brauchts Vorstellungsvermögen, Vergleichsfähigkeit und eine intensive Befassung mit dem Thema. Diese Kompetenzen kann man für vieles nutzen, seis in einem grafischen Beruf, bei handwerklichen Tätigkeiten oder eben wenn es darum geht, Aufträge zu formulieren.

Ich schmunzle ein bisschen, wie wichtig Frisur und Aussehen geworden sind – wohl eine Alterserscheinung. Allerdings: Mit 17 wäre ich zu einer solchen Auftragserteilung nicht in der Lage gewesen. Und heute fehlen die Haare dazu.